Die Postkutsche
Ein Kunstwerk von Rolf Weinhardt
Viele Reisende werden in der zur Poststation gehörenden Gaststätte "Post" auf einen Schoppen und ein Vesper eingekehrt sein. Nur von wenigen, die dies getan haben, wissen wir die Namen, doch die sind klangvoll genug. Schiller, Goethe oder Uhland.
Schon seit dem Mittelalter bestand die "Schweizer Straße", welche die württembergische Residenz über Tübingen mit der Eidgenossenschaft verband. Den Postverkehr übernahmen damals die Metzger, die bei ihren Reisen über Land auch Briefe beförderten. Ab 1691 befuhren dann die Postkutschen des Hauses Taxis regelmäßig die Schweizer Straße, für sie wurde in Waldenbuch – in einem Vorgängerbau der heutigen "Post" – eine Poststation eingerichtet.
Der erste Posthalter, dessen Name die Stadtgeschichte von Otto Springer mitteilt, war Andreas Lenz oder Lentz, der in einer Quelle aus dem Jahre 1714 erscheint. Ihm folgten zunächst seine Erben (1740-45), dann Christoph Friedrich von Raden (1746-50), ein gewisser Weber (1751-59) und - vielleicht direkt darauf - Johann Michael Klein. Dieser beherbergte beispielsweise anno 1781 den Berliner Buchhändler und Reiseschriftsteller Friedrich Nicolai, der in seinen späteren Veröffentlichungen Waldenbuch gehörig würdigte. Eines Tages im Sommer 1793 saßen dann zwei dem Posthalter unbekannte Herren in der Wirtschaft: niemand anders als Friedrich Schiller, damals Professor in Jena, und ein Freund, der Hofarzt Friedrich Wilhelm von Hoven. Der notierte in seiner Autobiografie über jenen Mittag in der "Post": "Das Mittagessen war ziemlich gut, aber desto weniger zufrieden waren wir mit dem Wirth. Um seine Gäste recht ... zu bedienen, wich er, seine Serviette über dem Arm, nicht von der Stelle, und was noch auffallender war, stand er glotzend da ohne ein Wort zu sprechen. Wir ärgerten uns beide über den lästigen Gesellschafter, vor dem wir fast nichts sprechen konnten; aber wir wussten nicht, wie wir ihn losbringen könnten, ohne unhöflich zu sein. Endlich tat er doch seinen Mund auf und sagte fast gleichgültig: 'Heut moarga hat mer au mei alte Muoter begrabe.' 'Und das sagen Sie so kalt, Herr Wirth?' entgegnete Schiller etwas erregt. 'Bitte, genieren Sie sich ja nicht vor uns: wir nehmen teil an ihrem Verlust ... Darum begeben Sie sich gleich in Ihr Kämmerlein und weinen Sie sich dort tüchtig aus; mit dem Essen werden wir schon selber zurecht kommen.' Der Wirt nahm diese Worte Schillers plötzlich für ernst: er entfernte sich plötzlich ..., ohne sich wieder sehen zu lassen."
Irgendwann in den darauf folgenden Jahren kam die "Post" in den Besitz der angesehenen alt eingesessenen Familie Kielmeyer, die im Städtchen auch noch andere Gaststätten betrieb. Ein Mitglied dieser Dynastie mit den Initialen EFK ließ die alte "Post" teilweise abbrechen und als dreistöckigen, repräsentativen Bau neu errichten das Gebäude, wie es im Prinzip heute noch zu sehen ist und unter Denkmalschutz steht. Ein behauener Stein an dem Haus nennt die Anfangsbuchstaben des Erbauers "EFK", ein anderer das Baujahr: 1797. Im gleichen Jahr kehrte auch Johann Wolfgang von Goethe in der "Post" ein; zwischen 1810 und 1820 war Ludwig Uhland geradezu Stammgast, und im Jahre 1814 trug er gar für einige Freunde in Waldenbuch seine neuesten Gedichte vor. Wilhelm Hauff rezitierte 1825 an gleichem Ort Auszüge aus seinen Werken.
Eine Entscheidung der Postverwaltung markierte das Ende der großen Zeit dieses Gasthofes. 1845 wurde die Poststation Waldenbuch aufgelöst und durch entsprechende Einrichtungen in Echterdingen und Dettenhausen ersetzt; der Verkehr sollte so beschleunigt werden. Noch mehr als 100 Jahre bestand die "Post" als "normaler" Gasthof, 1957 schloss sie ihre Pforten.
Das Gebäude der ehemaligen "Post", Auf dem Graben 22, beherbergt heute Läden, einen Pub und ein Eiscafé. Ein kleines Denkmal in Form einer bronzenen Postkutsche vor dem Haus erinnert an die große Vergangenheit des Gasthofes.
Ulrich Gohl